Fall des Monats Oktober 2022: T-Shirts mit großem „Z“ als Kundgebungsmittel (2024)

LÖSUNG

Die Anordnung ist rechtmäßig, wenn sie auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage beruht, die formell und materiell fehlerfrei angewendet wurde.

Obersatz

I. Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung ist § 13 I VersammlG LSA.

§ 13 I VersammlG LSA ist inhaltlich weitgehend identisch mit § 15 I VersammlG des Bundes.

II. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung

Die Anordnung ist formell rechtmäßig.

III. Materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung

Die Anordnung ist materiell rechtmäßig, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 I VersammlG LSA vorliegen und das auf der Rechtsfolgenseite eröffnete Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde.

Obersatz

1. Öffentliche Versammlung unter freiem Himmel

Eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel liegt vor.

Ergebnissatz, da unproblematisch

2. Unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit

Weiterhin muss die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der geplanten Versammlung unmittelbar gefährdet sein.

„Eine Versammlungsbeschränkung auf das Vorliegen einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu stützen, erfordert eine von der Behörde angestellte Gefahrenprognose, nach der tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus. […] Öffentliche Sicherheit ist die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie des Bestandes, der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt (vgl. § 3 Nr. 1 SOG LSA). Zur Rechtsordnung zählen auch die Normen des Strafrechts, wobei diese stets unter Beachtung der Wertentscheidungen des Art. 8 GG zu interpretieren und anzuwenden sind. […] Ob durch das erwartete Verhalten gegen Strafnormen verstoßen wird, bemisst sich – allein – nach der objektiven Rechtslage. […] Bei drohenden Verstößen kommt es daher lediglich auf die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes und das Fehlen von strafrechtlichen Rechtfertigungsgründen an, nicht hingegen auch auf Vorsatz, Fahrlässigkeit und Schuld.

Strenge Anforderungen an die Gefahrenprognose wegen der besonderen Bedeutung der Versammlungsfreiheit in einer freiheitlichen Demokratie.

„Gesamte Rechtsordnung“ erfasst auch das Strafrecht.

Wichtig: Bei Gefahrenabwehr spielen subjektive Elemente des Strafrechts keine Rolle, weil niemand bestraft werden soll.

In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe durfte die Antragsgegnerin […] davon ausgehen, dass von der […] beabsichtigten Verwendung [der] T-Shirts […] eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit […] ausgeht. Die Verwendung der […] T-Shirts als Kundgebungsmittel erfüllt […] den objektiven Straftatbestand der Billigung eines Angriffskrieges gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB i.V.m. § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB und § 13 VStGB. Strafrechtliche relevante Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.

Strafrechtlicher Anknüpfungspunkt VStGB = Völkerstrafgesetzbuch

Dass die Invasion Russlands in die Ukraine den Tatbestand des Angriffskriegs (§ 13 VStGB) verwirklicht, liegt für den Senat auf der Hand […]

Vgl. hierzu Schaller, NJW 12/2022, 832; Schmahl, NJW 14/2022, 969

„Billigen“ i.S.v. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB bedeutet Gutheißen einer konkreten Straftat. Erforderlich ist […] die eindeutige, aus sich verständliche Kundgabe eigener Zustimmung, die nach dem Sinn der […] Erklärung, nicht nach der Verwendung bestimmter Worte zu beurteilen ist und sich aus der Form der Darstellung ergeben kann. Dabei kommt es darauf an, dass eine Durchschnittsperson zu der Schlussfolgerung kommen würde, durch dieses Verhalten solle eine positive Bewertung der Straftat zum Ausdruck gebracht werden. Bei einer symbolsprachlichen Äußerung […] ist auf eine Durchschnittsperson abzustellen, die die gängigen Bedeutungsmöglichkeiten der Verwendung dieses Symbols kennt. Das „Z“ ist eines von mehreren Zeichen auf Militärfahrzeugen der Streitkräfte Russlands, die seit Februar 2022 an dem russischen Angriff auf die Ukraine beteiligt sind. Das ursprünglich militärische Zeichen wird in der russischen Gegenwartskultur auch in inzwischen abgewandelter Form als Symbol der Unterstützung und zur Staatspropaganda für den Angriffskrieg auf das Nachbarland verwendet. Laut Angaben des russischen Verteidigungsministeriums stehe der Buchstabe „Z“ demnach für den russischen Ausdruck „Za Pobedu“, was übersetzt „Auf den Sieg“ bedeutet. […]

Definition„billigen“ i.S.d. § 140 I Nr. 2 StGB (vgl. Lackner/Kühl, StGB, § 130 Rn 8)

Bedeutung des Buchstabens „Z“

Dies vorangeschickt stellt sich die beabsichtigte Verwendung der beschriebenen T-Shirts bei der Versammlung des Antragstellers aus der maßgeblichen Sicht einer […] Durchschnittsperson als Billigen im vorstehenden Sinne dar. Aufgrund der optischen Gestaltung des T-Shirt-Aufdrucks – überdimensionale Hervorhebung des Buchstaben „Z“, zudem im Stil der zwischenzeitlich allgemein bekannten typischen, von den russischen Armeekräften verwendeten Form eines groben Pinselstrichs, eingekleidet in eine nach der Darstellungsform deutlich untergeordnete und somit aus größerer Entfernung kaum wahrnehmbare Wortschöpfung „mmmhhh […]-itronenlimonade“ – ist für einen objektiven Betrachter allein das deutlich dominierende „Z“ wahrnehmbar. Dies gilt insbesondere für sich zufällig in der Nähe des Versammlungsortes aufhaltende bzw. diesen lediglich passierende Personen. […] eine durchschnittlich informierte Person angesichts der seit Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine intensiven täglichen medialen Berichterstattung Kenntnis von der Symbolkraft des großen „Z“ besitzt und in Anbetracht der vorstehend beschriebenen T-Shirt-Gestaltung den Eindruck erlangt, dass der Verwender eines solchen T-Shirts damit seine persönliche Überzeugung zum Ausdruck bringt, er billige den Angriffskrieg. Die Eindeutigkeit dieser Wahrnehmung […] wird entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht durch das Versammlungsthema „Gegen die Diskriminierung der Zitronenlimonade“ in Frage gestellt. Außenstehende, sich nur zufällig in der Nähe der Versammlung aufhaltende Passanten werden angesichts der verwendeten T-Shirts mit der beschriebenen Gestaltung ohne Weiteres einen Bezug zum Russland-Ukraine-Konflikt und zu einer Billigung durch die T-Shirt-Träger bzw. Versammlungsteilnehmer herstellen. […] Durch die dominierende Wirkung der T-Shirts mit dem überdimensionalen „Z“ tritt die vom Antragsteller angegebene Intention der Versammlung, die darin bestehe, die „inflationäre“ Einleitung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen Verwendung des „Z“-Symbols in Situationen, in denen „ersichtlich keine Befürwortung des russischen Angriffskrieges ausgedrückt werden soll“, zu kritisieren, für eine Durchschnittsperson vielmehr in keiner Weise zutage. Da der Antragsteller die „Z“-Symbolik optisch wahrnehmbar in den Vordergrund stellt, ist aus der maßgeblichen Sicht einer außenstehenden Durchschnittsperson auch nicht erkennbar, dass die Verwendung der T-Shirts […] Teil einer sich Mitteln der Parodie bedienenden Protestform ist. […] Vor diesem Hintergrund ist es auch unmaßgeblich, ob der Antragsteller bei der Versammlung […] keine Russlandfahne zu verwenden beabsichtigt und auch nicht […] seine persönliche Meinung zum Russland-Ukraine-Konflikt und dessen Ursachen verbal kundtun wird.

Subsumtion

Wichtig: Ganz genaue Auswertung des Sachverhalts.

Fehl geht auch der Einwand des Antragstellers, die streitigen Auflagen liefen darauf hinaus, dass er verpflichtet werde, sich ausdrücklich von den russischen Kriegshandlungen zu distanzieren. Die Auflagen zielen nicht darauf ab, es dem Antragsteller zu untersagen, seine Meinung zu dem Konflikt auch öffentlich kundzutun. Vielmehr geht es allein darum, eine Gefahrenlage abzuwenden, die auf die Verwendung des „Z“-Symbols in der beschrieben Weise zurückgeht.

Auch hier: Ganz genaue Sachverhaltssubsumtion

Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ist die […] im objektiven Tatbestand gegebene Billigung eines Angriffskriegs durch die Versammlung des Antragstellers auch geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Eine Eignung zur Friedensstörung verlangt weniger als die infolge der Billigung eingetretene tatsächliche Störung und wird bei einem Angriff auf den Wertekonsens der Rechtsgemeinschaft bejaht. Bei der Billigung eines Angriffskrieges in der hier vorliegenden Art und Weise ist dies ohne Weiteres anzunehmen. Auf die Anzahl der Teilnehmer der Versammlung, auf welche das Verwaltungsgericht abgestellt hat, kommt es hiernach nicht an.“

Eignung zur Friedensstörung i.S.d. § 140 I Nr. 2 StGB (vgl. Schönke/ Schröder, StGB, § 140, Rn 5a m.w.N.)

Demnach liegt eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gem. § 13 I VersammlG LSA vor.

3. Verantwortlichkeit

Als Veranstalter der Versammlung ist A richtiger Adressat der die Versammlungsfreiheit beschränkenden Anordnung.

4. Rechtsfolge

Auf der Rechtsfolgenseite eröffnet § 13 I VersammlG LSA ein behördliches Ermessen. Diese muss fehlerfrei ausgeübt worden sein, insbesondere hat die Versammlungsbehörde den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren.

„Die streitgegenständlichen Auflagen erweisen sich […] auch als verhältnismäßig. Es ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar, auf welche andere Weise als durch die Untersagung der Verwendung des „Z“-Symbols die drohende Gefahrenlage beseitigt werden könnte, die gerade aus der Symbolverwendung erwächst. In diesem Zusammenhang ist auch in Rechnung zu stellen, dass der Antragsteller auch ohne die Verwendung des Z-Symbols nicht daran gehindert ist, seine Kritik an der Einstufung der Verwendung des Buchstabens „Z“ durch die Strafverfolgungsbehörden als strafbar zu äußern. Dies ist auch ohne Weiteres über Wortbeiträge oder über die Benennung des Buchstabens „Z“ ohne Hervorhebung als Symbol möglich.“

Verhältnismäßigkeit, insbesondere Erforderlichkeit (+)

Somit hat die Versammlungsbehörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt, sodass die Anordnung rechtmäßig ist.

FAZIT

Neben der grundsätzlichen rechtlichen Einordnung des „Z“-Symbols ist der Beschluss des OVG Magdeburg vor allem deshalb relevant, weil er zeigt, wie detailliert die Umstände des konkreten Sachverhalts zu würdigen sind. Gerade bei versammlungsrechtlichen Aufgabestellungen stellt das oftmals einen Prüfungsschwerpunkt dar, weil die Veranstalter behördlichen Verboten häufig dadurch entgehen möchten, dass sie den verwendeten Symbolen eine ganz andere Intention zuschreiben; so wurde beispielhaft versucht, die Abkürzung „ACAB“ nicht im Sinne von „all cops are bastards“, sondern „all cats are beautiful“ zu interpretieren.

Wie einzelfallabhängig die rechtliche Einordnung von Kundgebungsmitteln ist zeigt im Übrigen exemplarisch ein jüngst ergangener Beschluss des OVG Münster, in dem das Tragen des sog. Sankt-Georg-Bandes nicht als Billigung des russischen Angriffskrieges qualifiziert wurde.

OVG Münster, Beschluss vom 06.05.2022, 15 B 584/22

Fall des Monats Oktober 2022: T-Shirts mit großem „Z“ als Kundgebungsmittel (2024)
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